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Erfolgreich verhandeln, in Beruf und Beziehung: Interview mit der Expertin

Wenn man den Gehaltsunterschied zwischen Männern und Frauen aus einem Jahr auf ein ganzes Leben hochrechnet, wird einem schlecht. Wies Bratby von «Women in Negotiaton» will das ändern.

Erfolgreich verhandeln, in Beruf und Beziehung: Interview mit der Expertin - mal ehrlich

Aaaargh! Ich dumme Nuss!

Kennt Ihr das, wenn man sich nach einem Gespräch als Totalversagerin fühlt? Wenn man mit dem Chef über die berufliche Weiterentwicklung verhandeln wollte und er einem mit wenigen Worten jeden Mut nimmt? Wenn die Diskussion mit dem Partner über die Verteilung der Hausarbeit damit endet, dass alles beim Alten bleibt? Oder wenn bei der Aufgabenverteilung für ein Projekt wie immer die lautesten Arbeitskollegen die Schoggijobs kriegen?

Gesprächsführung ist schwierig.

Besonders dann, wenn wir etwas einfordern möchten. «So etwas lernt man leider nicht in der Schule», sagt Wies Bratby. Die gebürtige Niederländerin lebt mit ihrem Mann und zwei Töchtern im Kanton Zürich. Früher arbeitete sie als Rechtsanwältin und HR-Leiterin, war weltweit tätig und hat viel Erfahrung mit Verhandlungen. Dieses Wissen teilt sie nun über ihre Firma Women In Negotiation und via Facebook-Gruppe mit Frauen auf der ganzen Welt.

Nur mit Frauen.

Denn: «Frauen beizubringen, besser zu verhandeln, ist meine ‘raison d’etre’ – ich habe das Gefühl, dass ich deswegen auf dieser Welt bin.»

Wies, weshalb hast Du Dich gerade auf dieses Thema spezialisiert?

Ich bin besessen von Verhandlungen! Meine beiden Töchter haben kürzlich daheim all meine Bücher zu diesem Bereich nebeneinandergelegt und gemessen… es sind 3,5 Meter. Ich bin besessen von diesem Thema, seit ich als 18-Jährige ‘Das Harvard-Konzept’ gelesen habe, das Standardwerk über Verhandlungen. Deshalb studierte ich Jura.

Und ich bin eine Feministin und davon überzeugt, dass Männer und Frauen gleichwertig sind und auch so behandelt werden sollen.

Diese zwei Dinge kommen in Women In Negotiation zusammen.

Den Lohn verhandeln? Dazu fehlt vielen der Mut.

Woher kommt die Besessenheit?

Wie gesagt, ich bin Feministin. Und von Gleichberechtigung in Sachen Lohn sind wir noch weit entfernt. Die rund 20%, die wir Frauen durchschnittlich weniger verdienen, summieren sich im Verlauf eines Lebens zu Millionen. Ein Grund für die Ungleichberechtigung liegt darin, dass wir Frauen im Beruf schlechter verhandeln als Männer. Oder gar nicht. Nur 7 Prozent der Frauen verhandeln ihren Lohn. 7 Prozent! Das macht mich wahnsinnig! 93 Prozent akzeptieren einfach, was man ihnen anbietet. Und wie ich als HR-Profi weiss: Das Anfangsgebot ist immer viel tiefer als möglich.

Die Expertin Wies Bratby verrät, wie man erfolgreich verhandelt www.anyworkingmom.com/gleichberechtigung
Wies Bratby kämpft für Lohngleichheit.

Sind wir denn wirklich so schlecht in Verhandlungen?

Als ich noch HR-Leiterin war, habe ich überall auf der Welt Trainings gemacht mit Arbeitnehmern, Frauen und Männern. Ob in Schweden oder Deutschland, in den USA oder in Vietnam: Gewisse Dinge waren gleich. Immer und überall haben sich die Frauen versammelt und gesagt: ‘Ich kann das nicht. Ich schaffe das nicht. Dazu fehlt mir der Mut.’

Frauen können grossartig verhandeln, wenn es zum Beispiel um Elterngespräche in der Schule geht. Dann kommt Mommybear raus und kämpft. Oder wenn sie ihre Freundinnen verteidigen sollen. Aber für sich selber einstehen? Das fällt uns schwer.

Und was passierte nach dem Training mit den Frauen?

Nach der zweistündigen Session waren alle total begeistert und motiviert. Wenn ich aber ein paar Tage oder Wochen später nachfragte, zeigte sich: Vieles vom Gelernten war wieder versandet.

Her mit dem Selbstvertrauen!

Ein einmaliges Training kann keine grundlegenden Veränderungen bewirken.

Das ist in uns drin, diese Zurückhaltung, die Angst, nicht angenommen zu werden, wenn wir knallhart einfordern, Nein sagen, bocken. Die Furcht, als bitchy angesehen zu werden.

Es braucht also mehr Training.

Genau. Deshalb mache ich mit Women in Negotiation ein achtwöchiges Online-Gruppencoaching. Dort gibt es natürlich Theorie, aber auch ganz viele Übungen, Hausarbeit, Herausforderungen, Rollenspiele. Gemeinsam entwickeln sie das Selbstvertrauen, das man für erfolgreiches Verhandeln benötigt.

Haben die Frauen miteinander Kontakt?

Aber sicher, auch wenn sie in der ganzen Welt verstreut sind. Ich liebe es, wenn sich die Teilnehmerinnen gegenseitig bestärken und motivieren. Da kann auch eine Firmenchefin von einer Neueinsteigerin profitieren, nicht nur umgekehrt. Und, ganz wichtig: Alle sehen, dass sie mit ihren Zweifeln und Problemen nicht allein sind. Denn jede hat solche inneren Kämpfe, egal wo sie wohnt, welchen Job sie macht oder welcher Generation sie angehört.

Anderen geht es genauso.

Was sind denn typische Aufgaben, die Du stellst?

Wir beginnen ganz simpel: Verlange eine Woche lang jeden Tag etwas Kleines. So lernst du, um Dinge zu bitten, deine Bedürfnisse zu äussern. Mit der Regelmässigkeit verändert sich in dir drin etwas.

Also kleine Schrittchen vorwärts?

Unbedingt. Es ist illusorisch, dass man jahrelang keinen Mumm aufbringt und dann von einem Tag auf den anderen zum Chef geht, 10 Prozent mehr Lohn einfordert und auch erhält. Dafür braucht es Praxis und ein paar Skills.

Welche?

Zuerst muss man sich intensiv mit sich selber befassen, realistisch und ehrlich sein. Muss sich unangenehme, tiefgreifende Fragen stellen. Wo bin ich? Was will ich? Welchen Wert habe ich? Was braucht die Firma? Und so weiter.

Und dann?

Das Allerwichtigste ist Selbstvertrauen. Theorie legt die Basis dafür. Training, Rollenspiele und Austausch helfen dann bei der Stärkung dieses Selbstvertrauens. Drei wichtige Schritte: Erkenne deinen Wert. Vertrete ihn. Kommuniziere ihn.

Mehr Lohn = mehr Respekt. Sad but true.

Geht es Dir primär darum, dass Frauen angemessener verdienen?

Ich rede in meinem Beruf ständig über Geld, dabei ist es mir persönlich gar nicht so wichtig. Aber in der Gesellschaft wird Salär mit Wert und Respekt gleichgesetzt, und das sind wichtige Dinge. Erfolgreiche Lohnverhandlungen haben den grössten Einfluss auf das Leben von Frauen – deshalb fokussiere ich mich darauf.

Wenn man den Gehaltsunterschied zwischen Männern und Frauen aus einem Jahr auf ein ganzes Leben hochrechnet, wird einem schlecht. Natürlich können die Skills, die ich lehre, in andere Lebensbereiche transferiert werden.

Die Expertin Wies Bratby verrät, wie man erfolgreich verhandelt www.anyworkingmom.com/gleichberechtigung
Einfach ist Verhandeln nicht – also müssen wir es trainieren.

Verhandlungsgeschick hilft auch in der Partnerschaft.

Unbedingt. Ich hatte zum Beispiel eine Klientin, die nach der Mutterzeit zurück in den Job gehen wollte. Mein Training mit ihr zielte eigentlich auf eine Lohnerhöhung ab. Was es stattdessen gebracht hat: Sie ist mit ihrem Mann zusammengesessen und hat eingefordert, dass sie für die Zeit nach ihrem Wiedereinstieg einen Plan machen, mit Aufgaben und Zuständigkeiten. Dieses grosse Problem gelöst zu haben, half ihr enorm. Weil, das wissen wir ja alle: der mentale Workload von Frauen ist immens.

Es gab diese Studie, wo das Stresslevel von Männern und Frauen um 17 Uhr gemessen wurde, also bei Feierabend im Job. Das Stresslevel der Väter sackte ab: ihr Arbeitstag war zu Ende. Das der Mütter schoss in die Höhe. Klar, nun begann ja ihre zweite Schicht.

Wer besser verhandeln kann, schafft auch eine bessere Vereinbarkeit?

Ja, davon bin ich überzeugt. Die Männer meiner Klientinnen sind anfangs nicht immer so begeistert, wenn daheim plötzlich neue Regeln verhandelt werden, haha! Aber letztlich erkennen sie, dass bessere Kommunikation zu weniger passiv-aggressiven Meckereien führt, zu weniger unterdrücktem Frust bei den Frauen. Also zu einem friedlicheren Zusammenleben.

Kannst Du uns Tipps geben?

Eines meiner Learnings: Hör auf, indirekte Fragen zu stellen! ‘Könntest Du bitte einkaufen gehen?’ anstelle von ‘Jemand müsste noch einkaufen gehen.’ Sag, was Du willst. Aber: Wenn Du Deinen Partner um Hilfe bei der Hausarbeit und Kinderbetreuung bittest, musst Du Dir bewusst sein, dass er es auf seine Weise tut. Lass los. Entweder Du definierst das Endziel und er entscheidet selbst über den Weg dahin. Oder Du bestimmt, wie etwas gemacht werden muss, dann kann aber das Endergebnis variieren. Beides geht nicht.

Ein Buchtipp für alle, denen das Loslassen schwerfällt: Drop the Ball von Tiffany Dufu.

Zurück zum Berufsleben. Vielen Müttern geht es so, dass das Arbeitsumfeld sie nicht mehr ganz so ernst nimmt – sie sind ja jetzt im Hauptberuf Mutter. Soll man im Job seine Kinder möglichst nicht erwähnen?

Ich könnte das nicht, meine Kinder verschweigen. Aber ständig nur noch über die Kids sprechen, wäre natürlich auch ungünstig.

Mom-Skills rocken!

Und wenn man sich neu bewirbt?

Als ich in die Schweiz kam, hat es mich total überrascht, dass die Leute hier ihre Familienverhältnisse in den CV schreiben. What?! Überall sonst auf der Welt ist die Frage nach Familienstand und Kindern illegal. Hier in der Schweiz geben die Leute solche Informationen freiwillig preis. Mein Rat: Wenn man schon darüber spricht, sollte man die erlangten Mom-Skills voller Selbstvertrauen herausstreichen.

Hauptbild: Wies Bratby referiert am WIN-Summit in Zürich, organisiert von Medienfrauen Schweiz. Copyright: Anna Stando

Woran die Gleichberechtigung auch oft scheitert: Das E in Vereinbarkeit

Was fürs Gemüt: Kind, wie findest Du es eigentlich, wenn ich arbeiten gehe?

Porträtfoto von Anja Knabenhans - Chefredaktorin mal ehrlich AG

Autorin

Anja Knabenhans ist die Content-Chefin von mal ehrlich. Sie war viele Jahre Journalistin bei der NZZ und NZZ am Sonntag – als Schreibende oder Tätschmeisterin, manchmal auch vor der Kamera oder hinter dem Podcast-Mikrofon. 2017 stieg sie bei Any Working Mom ein. Neben ihrer Tätigkeit bei mal ehrlich macht sie ihr eigenes Ding mit ding ding ding. Während sie beruflich ihre Freude am Tüpflischiss auslebt, zelebriert sie daheim das familiäre Chaos. Sie ist Mutter von zwei Kindern im Schulalter.

Informationen zum Beitrag

Dieser Beitrag erschien erstmals am 19. Januar 2018 bei Any Working Mom, auf www.anyworkingmom.com. Any Working Mom existierte von 2016 bis 2024. Seit März 2024 heissen wir mal ehrlich und sind auf www.mal-ehrlich.ch zu finden.


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