Warenkorb

Dein Warenkorb ist leer

Zwischensumme

CHF 0.00
Variante wählen

Mythos Anfängerbaby

Entspannte Eltern – entspannte Kinder? Über den Mythos Anfängerbaby und die persönliche Begegnung mit einem seltenen Exemplar.

|
Anfängerbaby: Mythos oder Realität und wie wichtig sind die Eltern. Von mal ehrlich

Ich dachte lange, sie wären eine urbane Legende.

So wie UFO’s, oder Nessie. Nur halt viel kleiner.

Eine Erfindung müssten sie sein, dachte ich. Diese Buddhababies, die zufrieden schmatzen und furzen und mit ihren kleinen Fäustchen lautlos schattenboxen, während sich die Eltern mit einem Glas Wein zuprosten. Babies, die nach sechs Wochen durchschlafen (Mutter, O-Ton: «läck, waren das anstrengende sechs Wochen!»), von sieben Uhr abends bis neun Uhr morgens («noch gäbig, da kann ich jeweils noch in Ruhe duschen!»)

Ich glaubte kein. Einziges. Wort.

Die Erfahrung hatte mich mit zwei mittel- bis anstrengenden Kindern beglückt. Koliken in den ersten drei Monaten, abendliche Schreiattacken (a.k.a. «The Witching Hour»), stundenlange Wachphasen mitten in der Nacht, viele verzweifelte Tränen (primär von mir, denn Säuglinge produzieren diese ja erst nach ein paar Wochen) und ganz sicher keine frisch gewaschenen Haare (#TeamTrockenshampoo). Aber eigentlich – wie ich hörte – alles im normalen Rahmen.

Und dann kam A. auf die Welt. Sie und ihre Mutter besuchte ich ein paar Wochen nach der Geburt, im Gepäck ein Survival-Kit für Mütter und die Absicht, verständnisvoll zu nicken, wenn sie mir von den anstrengenden Nächten erzählen würde.

Stattdessen begrüsste sie mich frisch geduscht.  Kam eben zurück vom Tennis spielen mit ihrem Mann. Hatte rosige Bäckchen und Ringe nur am Ehefinger, keine unter den Augen. Wo war denn A., fragte ich, bei den Grosseltern? Meine Freundin guckte erstaunt, lachte: «Was? Neeeein, die hat nebendran im MaxiCosi geschlafen, dänk! Und ab und zu ein bisschen rausgeguckt!»

Bilder einer postnatalen Pilates-Stunde krochen in mir hoch. Das Projekt «Sport mit Baby» hatte ich frühzeitig abbrechen müssen, da die Tochter schrie, als hätte man nicht mich, sondern sie auf den Reformer geschnallt.

Anfängerbaby: Mythos oder Realität und wie wichtig sind die Eltern. Von www.anyworkingmom.com
Wasup?

«A. schläft durch. Seit vier Wochen. Mir geht es blendend!» Meine Freundin sah auch strahlend aus, während sie mir den selbstgebackenen Rüblikuchen servierte (den mir mein eigenes Kind sogleich auf dem Pulli verteilte). A. sagte dazu nichts. Den ganzen Nachmittag nicht. Sie guckte nur. Und gurgelte. Und boxte. Schleuderte eine Sophie durch die Wohnung. Tonlos.

Und ich war fass-ungs-los. So geht das also auch. Ein Easy-Baby, ein Buddhababy, ein sogenannt «liebes», einfaches Anfängerkind. Es gibt sie, und ich hatte da so ein Exemplar vor mir. Wahrhaftig. Kein Mythos also, sondern Tatsache. Ich konnte es sogar anfassen – es beklagte sich nicht.

Lag es vielleicht an den Eltern?

«Entspannte Eltern, entspannte Kinder»

Die Eltern-Platitüde schlechthin, wird oft und gerne verteilt von sehr selbstzufriedenen Eltern, die wohl auch ausschliesslich mit Anfängerkindern zusammen leben (good for them!). Widerlegen hatte ich sie davor nie gekonnt – selber gehöre ich doch eher zur Hochspannungs-Spezies und hatte deshalb nie ein gechilltes Kind erwartet und – wie ich schlussfolgerte – deshalb auch zwei Mal keins gekriegt.

Natürlich gingen mir die Gedanken durch den Kopf: Hätte ich denn vielleicht etwas anders machen können? Gibt es irgendwo die Secret Baby Sauce, die einen so relaxed werden lässt, dass auch der quere Furz in Baby’s Bauch von alleine den Rank in die Freiheit wiederfindet? Mehr Yoga und Meditation? Jeden Morgen einen Kale-Smoothie exen und ein Mantra singen? Kriegt man DANN ein Buddha-Baby?

Die Mutter von A. ist übrigens auch kein Laissez-Faire-Blumenkind, sondern eher Typ Geschäftsfrau. Als A. an einer Party (30 Leute, 30 Grad) dann doch einmal losschrie, wollten die Eltern erst in die Permanence, so ungewöhnlich schien ihnen der Gefühlsausbruch. Eine Stunde später war A. aber zurück in der alten Form: unfassbar pflegeleicht. War ihr halt einfach zu heiss gewesen.

Als mein eigenes Baby Nummer drei an die Bauchwand klopfte, hatte ich weder Zeit noch Musse, mir über mein Verhalten gross Gedanken zu machen – ich stand zu sehr unter Strom. Ich stellte mich also wie gehabt auf wenig Schlaf, anstrengende Nächte und Tage ein, auf Dauerstillen und -wippen, so dass ich am Ende des Tages Muskelkater in den Oberschenkeln haben würde.

Anfängerbaby: Mythos oder Realität und wie wichtig sind die Eltern. Von www.anyworkingmom.com
Entspannteste Person der Familie (Platz zwei: AWD), 1 Tag alt.

Und dann kam das dritte Kind. Wäre meine Tochter nicht das Spitting Image von Any Working Dad – ich hätte vielleicht gedacht, es müsse sich um eine Verwechslung handeln, denn:

Nie, nie, nie hätte ich gedacht, dass ich beim dritten Anlauf das Anfängerbaby kriege.

Das Baby trank, schlief, hatte kein Bauchweh und lag es einmal auf mir, war die Welt für uns beide in Ordnung. Wahrscheinlich hätte ich sogar Tennisstunden nehmen können, wären da nicht noch zwei andere Kinder mit Bedürfnissen.

Und ich? Ich hatte nichts, überhaupt nichts anders gemacht. Mich nicht anders verhalten. War weder ent- noch angespannter.

Der viel zitierte Satz ist also einfach ein Haufen Gaggi, um Mal im Jargon zu bleiben. Eine Möglichkeit mehr, Mütter zu verunsichern, ihnen das Gefühl zu geben, sie hätten es zu verantworten, wenn sie vor Erschöpfung zittern oder vor lauter Schlafmangel kaum noch klar denken können. Wenn sie ein Schreibaby haben und daran verzweifeln, dieses Kind richtig lieben zu können. Ein zusätzlicher Druck, trotz schmerzenden Narben und einer schwierigen Beziehungsphase mit dem Partner doch bitte auch noch schön entspannt zu bleiben. Eine «gute» Mutter zu sein, die das alles easy packt.

Und wenn nicht: selber schuld.

Sagen Übermütter auf Facebook. Suggerieren Ratgeber. Meinen manchmal sogar Hebammen.

Dabei ist jedes Kind einfach so, wie es ist. Mit seiner eigenen Persönlichkeit, von Tag 0  an. Meine Kinder sind der lebende Beweis dafür, und ich bin ihnen unendlich dankbar, dass sie mir das gezeigt haben. Wir können nichts anderes tun, als uns auf die neuen Menschen in unserem Leben einzulassen. Ob entspannt, gespannt oder – vor allem in den letzten Monaten vor der Geburt: eher verspannt.

Selber schuld ist man nur, wenn man sich unter Druck setzen lässt von der illusorischen Erwartung, man könne «etwas besser machen».

Ich habe drei Anläufe gebraucht, um das wirklich zu realisieren.

Kurz nach der Geburt meiner Tochter vor ziemlich genau einem Jahr, habe ich ihr einen kleinen Liebesbrief  geschrieben: Oh, Baby.

Das diese Liebe nicht allen Mütter von Anfang an vergönnt ist, wissen wir leider auch: Kind da, Krise da: Postnatale Depression

Interessanter Artikel darüber, wieviel Einfluss die Eltern wirklich auf ihre Kinder haben: How Much Do Parents Matter? aus The Atlantic.

Autorin

Andrea Jansen hat 2016 Any Working Mom gegründet und lange als CEO geführt. Bei mal ehrlich ist sie für Strategie und Business Development verantwortlich. Sie reist gerne durch das Leben und um die Welt, versucht, weniger zu micromanagen und mehr zu schlafen. Sie ist Unternehmerin, Stiftungsrätin, Journalistin und Mutter von drei Kindern. Seit mindestens drei Jahren will sie ihre Website updaten und kommt nicht dazu – bis dahin findet man sie auf Insta als jansenontour.

Informationen zum Beitrag

Dieser Beitrag erschien erstmals am 19. Februar 2018 bei Any Working Mom, auf www.anyworkingmom.com. Any Working Mom existierte von 2016 bis 2024. Seit März 2024 heissen wir mal ehrlich und sind auf www.mal-ehrlich.ch zu finden.


Schlagworte


Magst du Snacks? News, Aktionen, Tipps und Verlosungen:
1x pro Woche persönlich und kompakt im mal ehrlich Mail.

Du weisst es zuerst!

Abonniere jetzt unsere Newsletter und erhalte als Dankeschön einen Gutschein für unseren Concept Store IM WERT VON 5 FRANKEN!

10 Antworten

Kommentiere anonym oder logge dich ein

  1. Avatar von Nadja
    Nadja

    danke dafür!!

  2. Avatar von Anna
    Anna

    Und gilt das auch für später? Oder sind saufreche, anstrengende Vierjährige einfach nur schlecht erzogen und die Eltern sind Schuld?

    1. Avatar von Andrea Jansen
      Andrea Jansen

      Saufrech und anstrengend zu den eigenen Eltern (hier!) oder einfach generell A-Kinder? Vielleicht mal einen Blogpost wert?

  3. Avatar von Nicole
    Nicole

    Jawoll, bravo … also liegts doch nicht nur an mir, dass uns unser zweiter Sohn zur Verzweiflung brachte. Und wie oft, hab ich mich gefragt, was ich denn anders gemacht habe als beim Ersten? … ein toller Beitrag… ich fühle mit … dies zu lesen tut so gut … danke

  4. Avatar von Julia
    Julia

    Danke, danke, danke für diesen tollen Text! Ich kam beim Lesen aus dem Mit-dem-Kopf-Nicken und dem Lachen gar nicht mehr raus. Genau so ist es nämlich, nur hätte ich das nicht so treffend in Worte packen können. PS: Das einst panikverzerrte Gesicht meiner Freundin H. beim Anblick ihres Babys C., als es mit zweieinhalb Monaten das erste Mal länger als gefühlte 5 Sekunden schreit. Priceless. Lachen wir uns heute noch drüber kaputt.

  5. Avatar von Angie
    Angie

    Super Artikel danke! Kann ich nur bestätigen.
    „Anfängerbaby“ – Was meint man damit eigentlich wirklich? Jedes Kind hat doch „einfachere“ und „schwierigere“ Seiten. Das gleicht sich im Laufe der Zeit aus…
    Bei uns K1 wäre wohl als „Anfängerbaby“ durchgegangen. Schlief mit 5 Wochen durch, ohne dass wir was bestimmtes gemacht hätten, hatte keine Kolliken, war kugelrund, gut gelaunt und unternehmungslustig. Ich konnte sie überall hin mitnehmen. ABER: Das musste ich auch. 5 Minuten ohne Mami? Nope. Sie hat mit 3Mt schon gefremdelt (ja, wirklich!), von Anfang an konnte fast niemand anderes sie halten, selbst bei Papi hat sie nur durch geschrien, bis ich wieder da war. Die Krippeneingewöhnung dauerte einen ganzen Monat. Es wurde getuschelt, ich sei halt eine Glucke. Dann kam aber K2. Der hätte wohl gar keine Krippeneingewöhnung gebraucht. (Gut haben wir dafür einen Monat reserviert.). Er liess sich von allen halten. Aber “Durchschlafen” war ein Fremdwort, Flatulex und Gripewater im Dauereinsatz…
    Wir haben nichts anders gemacht. Anstrengend sind beide – jedes auf seine Weise!

  6. Avatar von Sue
    Sue

    Läck bisch Du inspirierend!!! Danke für die ehrliche Wort …
    Baby Nr 2 (4 Wuche aut u schlaft NID düre) liegt aktuell zwar töifeentspannt u ufem Buuch schlafend ufem Sofa… genau bis um Mitternacht u när faht dr Tag für se a…. Aber nach Dine Wort chanis die Nacht garantiert entspannter näh – thanks for that!

  7. Avatar von Gabi
    Gabi

    Hach, wie guuuut kenne ich diese Situationen! Nicht selten muss ich ganz doll auf die Zähne beissen, wenn ich in meinem Umfeld höre, wie anstrengend doch die Kinder sind, sie beinahe ausrasten, faaast keine Energie mehr haben und es der Horror sei, wenn die Kinder mal NICHT 10h am Stück schlafen! *hmpf*! KEINE Ahnung von chronischem (!!!) Schlafmangel, von Autofahrten in prekärem Wachzustand, von “keinen-Nerven-weil-seit-Wochen-Monaten-Jahren-NICHT-durchgeschlafen”, oder was das Wort “Kolliken” inhaltlich bedeutet (ebenfalls 2x durchgestanden ✌) usw. Bei ebendiesen Situationen versuche ich mir dann immer wieder den Satz einer Freundin in Erinnerung zu rufen: “Kinder suchen sich diejenigen Eltern aus, welche sie ertragen mögen.” In dem Sinne: ein Hoch auf uns alle, die von Tag 1 an zäck im Wirbelwind standen mit den süssen kleinen Wirbelwind-Babies! 💪

  8. Avatar von Milena
    Milena

    Grosser Beifall!
    Uns ging es GENAU gleich! Baby No 3 ist ein Anfänger Baby und nie hätte ich mir vorher vorstellen können, dass WIR so ein entspanntes Kind haben können. Fazit 1: Jedes Kind ist anders!
    Fazit 2: Lieber No 1 und 2 anstrengend als No 3.

    1. Avatar von Andrea Jansen
      Andrea Jansen

      Genau, oder?! Läck, wie wäre ich auf die Welt gekommen…;-)))