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Jobsharing und Topsharing – Karriere in Teilzeit

Teilzeit arbeiten und trotzdem Chef*in sein? Das geht im Team: dank Topsharing und Jobsharing. Ein Interview mit WEShare1-Gründerin Karin Ricklin.

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Teilzeit mit Jobsharing und Topsharing - Interview mit Karin Ricklin auf mal ehrlich

Jobsharing und Topsharing, bei denen sich zwei Personen einen Job oder eine Führungsposition teilen, werden in Zukunft noch weiter an Bedeutung gewinnen, sagt Karin Ricklin. Gleichzeitig stellen die neuen Arbeitsmodelle auch eine Option dar, um den Karriereknick nach einer Schwangerschaft zu vermeiden.

Warum Jobsharing und Topsharing gerade für Eltern hochinteressant sind, aber auch eine Bereicherung für offene Unternehmen, hat die Gründerin von WeShare1 im Interview erklärt.

Andrea Jansen: Karin, welche Erfahrungen hast Du selber als berufstätige Mutter auf Jobsuche gemacht?

Karin Ricklin: Ich hatte eben erst einen neuen Job angefangen, und meine Schwangerschaft war sehr schwierig. Ich kündigte, denn ich dachte, das geht doch so nicht – ich war ständig im Spital, fast 9 Monate lang. Die Geburt war ebenfalls kompliziert, ich war fix und fertig. Und mein Kind war ein Schreibaby.

Teilzeit mit Jobsharing und Topsharing - Interview mit Karin Ricklin auf www.anyworkingmom.com

Irgendwann merkte ich aber: Ich muss wieder arbeiten, das ist mir wichtig, das definiert mich auch. In einem Jahr Jobsuche fand ich ganze drei 60 %-Stellen, die irgendwie gepasst hätten. Der Rest waren Assistenz-Stellen, für die ich als ehemalige Teamleiterin völlig überqualifiziert war. Ich hatte vor meiner Schwangerschaft ja gefühlte 1000 Weiterbildungen absolviert – nun fragte ich mich ernsthaft, warum ich das überhaupt alles gemacht hatte?

A: Hättest Du diese Zeit lieber anders investiert, wenn Dir nun Deine Kompetenz schon fast zum Verhängnis wurde…

K: Genau! (lacht) Die anderen Stellen waren 80 oder 100 % und da wusste ich: Das kann und will ich nicht. Eine Führungsposition mit Baby – no way, ich WAR ja bereits am Limit. Und trotzdem wollte ich unbedingt wieder etwas machen. Und dann hatte ich Glück: Die 3. Stelle war ein Match, bei einer Bank. Mit 60 % konnte ich total viel Cooles machen, Verantwortung tragen. Aber eben, in einem Jahr fand ich ganze drei (!) in Frage kommende Stellen: ein Wahnsinn! Ich hatte Schwein.

A: Deckt sich Deine Erfahrung mit Beobachtungen in Deinem Umfeld?

K: In den letzten Jahren habe ich so viele Frauen kennengelernt – Männer by the way auch – die haben Teams geführt, haben ein riesiges Know-how, viel Drive. Dann wurden sie Eltern und wussten für sich, ich kann und möchte nur 60 % arbeiten. Schön und gut. Dann fängt die Sucherei an. Entweder landest Du auf einer Stelle, für die Du unterqualifiziert bist, oder Du findest gar nichts und bist eine dieser 50´000 Akademikerinnen, die einfach aus dem Markt rausgehen.

Mich hat das sehr beschäftigt. Der Jackpot mit einer verantwortungsvollen Teilzeitstelle ist für gut ausgebildete Mütter die absolute Ausnahme. Die Entscheidung fällt eher zwischen: sich entweder von der Karriere verabschieden oder 100% arbeiten.

Dieses viele Potential, das einfach flöten geht.

Karin Ricklin


Dieses viele Potential, das einfach flöten geht. Das ist so uninspirierend. Das kann es doch nicht sein.


A: Wenn Du sagst, ‘mit 60% lässt sich kaum eine Stelle mit viel Verantwortung finden, geschweige denn eine Führungsposition’, würden einige hier sicher argumentieren, das sei doch einfach s’Füfi und s’Weggli? Frauen – wenn Ihr Karriere machen möchtet, dann heisst das halt 100 %?

K: Ja, das ist die spannende Diskussion, das Wertethema. Diese eine Studie der Annabelle hat eine Riesen-Welle geworfen. Dort nannten die befragten Frauen ein Erwerbsmodell von 50/80 als Ideal. Also 50 % Berufstätigkeit für Frauen.

Die Antwort auf diese Frage hat aber zwei Seiten: Die eine ist das «Nicht-Wollen’ – wir haben eine Wohlstandssituation, wir können uns eine klassische Rollenteilung leisten, und das ist ein Privileg. Das kann man gut oder schlecht finden – aber es ist Fakt. Hätten wir nicht einen solchen Wohlstand, es stünde gar nicht zur Diskussion.

Hätten wir nicht einen solchen Wohlstand, das «Nicht-Wollen’ stünde gar nicht zur Diskussion.

karin ricklin

Die andere Frage ist: Kann man jemandem einen Wert aufdoktrinieren? Den Beruf höher gewichten als die Familie? Oder anders formuliert: Ein Unternehmen kann sagen: «Sorry, diese Frauen sollen einfach Gas geben. Und «wer nid wott, het gha’.» Diese Haltung kann man schon haben – aber sie hat Konsequenzen: den Fachkräftemangel.

Er kommt, ist teilweise schon da und wird sich noch stärker ausprägen. In der Schweiz haben wir aktuell 60 % Frauen, die Teilzeit arbeiten, 18 % Männer. Gleichzeitig gibt es wie erwähnt hochqualifizierte Mütter, die entweder auf Teilzeitstellen parkiert sind, die ihrem Potential nicht gerecht werden, oder sie steigen ganz aus dem Erwerbsleben aus.

Wo bewegt sich die Gesellschaft hin, inwiefern sind und bleiben Unternehmen wettbewerbsfähig im «War for Talents’? Die Mehrheit der Arbeitnehmenden verlässt mittlerweile das Unternehmen aufgrund mangelnder Vereinbarkeit zwischen Beruf und Privatleben.

Die Babyboomer-Generation wird langsam aus dem Markt gehen. In gewissen Sparten kannst Du also weiterhin so denken, aber dann stirbt Dein Business.

Jobsharing, und insbesondere Topsharing, können für Unternehmen ein attraktives Mittel sein, dieses brach liegende Potential zu nutzen.

karin ricklin

A: Womit wir beim Kernthema wären: Mehr Druck zu machen und seine Bedürfnisse durchzusetzen, ist das eine, aber es gilt auch, die vorhandenen Möglichkeiten auszuschöpfen. Möglichkeiten, die so viele Unternehmen bisher gar nicht wahrnehmen. Erkläre Du mir doch einmal, wie Jobsharing und Topsharing eigentlich ganz genau aussehen.

K: Beim Jobsharing teilst Du einen Job und seine Aufgaben auf mehrere Personen auf, trägst aber gemeinsam die Verantwortung für diese Stelle. Das Topsharing – also das Teilen einer Führungsposition – kannst Du gut mit einer Familie vergleichen:

Dein Mann und Du, Ihr arbeitet beide, Ihr habt gemeinsame Kinder. Das kannst Du Dir wie ein KMU vorstellen, Ihr zwei seid die Chefs. Drei Kinder habt Ihr – die Juniors. Jetzt teilt Ihr euch diesen Chefposten. Bei uns sieht das zum Beispiel so aus: Roger geht entsorgen, ich kaufe ein. Wir haben ganz viele Sachen, die jeder separat macht, sonst drehst Du durch – man muss nicht alles 50:50 aufteilen. Dann gibt es eine Schnittmenge, die uns beide betrifft – wieviel «Schoggi» dürfen die Kids essen, im Kindergarten gibt es ein Problem, wie wollen wir erziehen. Das machen wir miteinander – und das ist die Strategie, die Vision.

Topsharing: Dein Mann und Du arbeitet, Ihr habt Kinder. Das kannst Du Dir wie ein KMU vorstellen, Ihr zwei seid die Chefs.

Karin ricklin


Die Vision und Werte sind entscheidend. Man muss miteinander in die gleiche Richtung schauen, sonst habt Ihr ständig «Chritz».

Und hier sind wir beim Topsharing: Zuerst entscheidet Ihr zu zweit, wie wollen wir die Leute führen? Was ist unsere Vision, wohin wollen wir mit unserem Job? Bei einem Restaurant beispielsweise die Frage, wollen wir ein 5* oder ein 3* Restaurant sein? Wollen wir Fast Food, High End? Das ist die Strategie. Diese Ziele definiert man miteinander. Und dann teilt man eine Vollzeitstelle auf.

A: Wer ist schuld, wenn es mal nicht so läuft, wie geplant?

K: Du hast als Team – ganz wichtig – gemeinsam die Verantwortung. Wenn es aus dem Ruder läuft, müssen beide hinstehen. Wenn es Lob gibt, alle Dich super finden, bist Du immer das Team. Solche Alphas, eine Person, die sich als die Einzige und Beste sieht – das ist beim Topsharing eben gerade nicht das Konzept.

Um wieder auf das Elternbeispiel zurückzukommen: Wenn der Kleine kommt und stürmt «Mami, kann ich bitte…..», und Du Nein sagst, dann probiert er’s beim Papi und kriegt dort die gleiche Antwort – Ihr seid eine Einheit. Idealerweise (lacht).

A: Als Arbeitgeber würde ich jetzt denken: Cool, da bekomme ich «two for one’. Ich bekomme zwei Leute mit zwei Kompetenzrucksäcken zum Preis von einem?

K: Fast. Genau.

A: Ja, fast. Ist denn das wirklich so? Wo ist der Benefit und wo der Zusatzaufwand?

K: Initial hast Du Kosten. Du musst zwei Laptops haben, zwei Büroflächen, ausser Ihr macht Home Office. Auch die Rekrutierung ist komplexer und zu Beginn braucht es eine gewisse Zeit, bis alles eingespielt ist.

A: Als Arbeitgeberin frage ich mich ja auch, was bedeutet das für uns? Denke ich da nicht: Jetzt habe ich zwei Leute, die ich managen muss. Zwei Mitarbeitergespräche. Zweimal Sozialleistungen bezahlen. Wie funktioniert das?

K: Das Mitarbeitergespräch zum Beispiel wird meistens zu zweit gemacht. Du wirst zusammen bewertet; nicht eine Person, die dann die Superheldin ist und die andere die Loserin. Und zum Koordinationsaufwand: Viele Arbeitgeber haben auch Bedenken wegen Konflikten im Team, dass es ständig krache.

Das ist aber erfahrungsgemäss sehr selten der Fall. Das Topsharing-Team bekommt eine tolle Chance. Es hat die Möglichkeit, auf einen Chef-Posten zu 60 % – und ist dann auch entsprechend ambitioniert, plus haben sich beide im Vorfeld intensiv mit dem Ganzen auseinandergesetzt. Die Erfahrungen und Studien haben gezeigt, dass diese Tandems sich untereinander so gut organisieren, dass Du als Arbeitgeber keinen Mehraufwand hast. Zudem hast Du gleich noch die Stellvertretung geregelt.

Aber klar, wie bei allen Arbeitsmodellen, kann auch ein Jobsharing oder Topsharing einmal nicht klappen. Essentiell ist, dass sich das Tandem vorher bewusst mit allen Pros, Contras und Voraussetzungen des Modells auseinandersetzt. Und, ganz wichtig, dass das Arbeitsmodell vom Unternehmen gestützt wird. Ansonsten wird es enorm schwierig.

Die Erfahrungen und Studien haben gezeigt, dass diese Tandems sich untereinander so gut organisieren, dass Du als Arbeitgeber keinen Mehraufwand hast.

karin ricklin


A: Wir haben auch ein Tandem bei uns. Unser Concept Store ist ein Job Sharing: Olivia und Mitch Soland. Sie haben sich bei uns als Team beworben. Ich finde es auch super, dass sie sich austauschen können. Dass nicht jemand alleine entscheiden muss. Das läuft super.

K: Es gibt viele Vorteile, Du sagst es. Momentan sind die Schlagworte Diversität und Inklusion sehr präsent, die Unternehmen suchen verstärkt Frauen. Es gibt aber halt einfach sehr viele Frauen – und vermehrt auch Männer – die 60 % oder 50 % arbeiten möchten, und nicht mehr. Das ist einfach ein Fakt und das kann man blöd finden oder nicht – aber diese Ressourcen muss man nutzen. Wie mache ich das als Unternehmen? Mit 60 % eine Führungsstelle, das wissen wir beide, ist im Alleingang sehr herausfordernd.

A: Da arbeitest Du eh 100 %.

K: Da schiesst Du Dich ab, ja. Genau, 100, 120 %. Aber mit Topsharing kannst Du als Firma Diversität herstellen, auch in Führungspositionen. Der Druck auf die Unternehmen wird hier auch immer grösser, extern wie intern. Stichwort Employer-Branding: Man will sich ja auch als attraktiver Arbeitgeber positionieren.

Ein ganz wichtiger Teil ist auch das Wissensmanagement: eine Superheldin bei Dir im Team – die macht Dir 120 % und dann ist sie weg. Sie nimmt alles mit: das Netzwerk, das Wissen. Mit zwei Personen ist dieses Risiko massiv kleiner, auch bei Mutterschaft oder einem WK.

A: Wir hatten kürzlich eine Story bei uns auf Instagram, da haben sich ganz viele Mütter bei uns gemeldet mit Geschichten von ihren Vorstellungsgesprächen, ihrer Jobsuche. Oder was passiert ist, als sie eine Schwangerschaft bekannt gegeben haben – wie sie zurückgestuft wurden, oder die Kündigung genau zum Ende des Mutterschaftsurlaubs kam. Ganz viele topmotivierte Frauen, die gesagt haben, ja ich arbeite gerne und ich WILL arbeiten – aber es ist so schwierig.

Ein grosses Thema war dabei immer, dass man keine Mutter einstellen wolle, weil dann das Kind ständig krank sei. Was dabei völlig ausser Acht gelassen wird, ist, dass der Vater ja auch bis zu drei Tage Anrecht hat auf Betreuungsurlaub, wenn ein Kind krank ist – nicht nur die Mutter. Und ich kenne keinen einzigen Vater, der diese Frage jemals gestellt bekam. Mein Partner auch nicht. Dass auch er drei Kinder hat, war nie ein Thema bei irgendeinem Vorstellungsgespräch. Als Arbeitgeber wäre das doch die perfekte Lösung, wenn ich zwei Leute habe: Wenn jemand ausfällt, wegen Krankheit, dann ist ja vielleicht die andere Person flexibel genug – im Idealfall – um einzuspringen.

K: Genau! Jetzt in der Pandemie noch viel mehr. Wenn Du in die Quarantäne abdampfst, hast Du dieses Problem auch… Darum finde ich es so spannend, dass wir darüber sprechen können.

A: Das Job- und Topsharing bietet so viele Vorteile, warum machen das nicht viel mehr Unternehmen?

K: Wir stellen immer wieder fest, dass das Konzept bei den Unternehmen und im HR-Umfeld noch viel zu wenig bekannt ist und es ausserdem an Success Stories fehlt. Deshalb müssen wir diese Geschichten erzählen, deshalb habe ich auch einen Blog gestartet, in dem ab Juni regelmässig Portraits von erfolgreichen Tandems erscheinen. Männer, Frauen, gemischt, alt, jung… die ganze Bandbreite.

Viele Arbeitgeber*innen und HR-ler kennen Topsharing gar nicht! Deshalb müssen wir diese Geschichten erzählen.

Karin Ricklin


A: Sollte man sich denn für eine Bewerbung die Job- oder Topsharing-Partner*in schon vorher suchen?

K: Noch besser ist, wenn Du zwei oder drei passende Personen in Deinem Netzwerk hast. Das Wichtigste: Die Vision und die Werte müssen matchen und man muss einander mögen, sonst fliegt es Dir um die Ohren. Mit diesen zwei oder drei Personen solltest Du auch transparent sein und ihnen sagen, dass Du mehrere Optionen hast. Wenn Du Dich auf eine Person festlegst, bist Du sehr fixiert. Vielleicht hat sie in einem Jahr ein Kind und es kommt dann gerade nicht mehr in Frage. Oder er geht gerade ins Ausland. Man sollte dort etwas strategisch denken.

A: Gehen wir davon aus, das Unternehmen schreibt Topsharing nicht explizit aus, weil sie es zum Beispiel nicht kennen, es ist einfach ein 100 %-Job. Bewirbt man sich dann gemeinsam mit seinem Tandem-Partner auf diesen 100 %-Job?

K: Genau.

A: Wie sieht so eine Bewerbung aus? Ganz normal oder muss man da etwas beachten?

K: Grundsätzlich musst Du Deine Idee verkaufen, sowieso. Das ist etwas, das nicht Standard ist und es kostet die Arbeitgeber Aufwand. Sie müssen anders rekrutieren, sie müssen mehr zur Verfügung stellen, müssen umdenken.

Und es liegt an Dir bzw. Euch, ihnen zu zeigen, warum sie das machen sollten. Idealerweise hast Du einen Gesamt-CV, mit dem Du dem Arbeitgeber zeigst: Wenn Du uns zwei nimmst, hast Du die eierlegende Wollmilchsau. Wenn ich als HR zehn Leute habe, und daneben ein Tandem, das mir praktisch alles abdeckt – das gibt es ja sonst nicht – dann hat’s die Fiats und plötzlich fast einen Ferrari, dann nimmst Du den. Man muss dem Arbeitgeber zeigen: Wir sind’s!

Idealerweise hast Du einen Gesamt-CV, mit dem Du dem Arbeitgeber zeigst: Wenn Du uns nimmst, hast Du die eierlegende Wollmilchsau!

Karin ricklin

Hier lohnt es sich auch, dem HR von Beginn an aufzuzeigen, wie man arbeiten möchte. Wie decken wir uns ab, was ist, wenn jemand krank ist, was haben wir uns überlegt, wenn eine Person kündigen möchte. Wenn Du sagen kannst, schau, es ist alles geregelt, wir haben ein super Package, alles ist bereits abgestimmt – dann hast Du ein starkes Argumentarium.

A: Es ist auch ein Thema, das inspiriert und etwas Hoffnung gibt. Eine Lösung, die man selber in die Finger nehmen kann. Wie verkauft man dem Unternehmen, dass nicht zu viel Zeit draufgeht für Abstimmung untereinander?

K: Ja, ein Riesenpunkt ist auch das. Hier geht es darum, dass man wirklich etwas leisten will. Topsharing heisst nicht, ein bisschen Teilzeitchefin sein zu wollen. Das Modell lebt auch davon, dass Du die Extrameile gehen möchtest – da muss man auch realistisch sein. Zwischendurch musst Du dann halt einmal eine Sprachnachricht machen an Deinem freien Tag bei einem wichtigen Entscheid – das ist etwas, was Du dem Arbeitgeber auch bieten musst, sonst funktioniert es nicht. Es wird Phasen geben – gerade im Topsharing –, wo Du wichtige Entscheidungen hast, das muss man sich auch bewusst sein.

A: Genau, dass man nicht einfach so einen 9-to-5-Job hat, wo man sich einfach ausklinken kann.

K: Deshalb ist eben die Kombination des Tandems auch ein wichtiger Punkt – die Kompetenzen sollten möglichst komplementär sein. Gerade wenn man bedenkt, dass es mittlerweile bereits ab 45 schwierig sein kann, sich im Arbeitsmarkt noch behaupten zu können.

Beim intergenerationellen Job- und Topsharing können sich sehr spannende Kombinationen ergeben, die Win/ Win/Win sind. Win für die beiden Tandempersonen. Einer des Tandems ist zum Beispiel 50+, möchte sein Pensum reduzieren, aber dennoch eine verantwortungsvolle Position behalten und sein Wissen weitergeben. Die andere Person im Tandem ist eine Wiedereinsteigerin nach dem ersten Kind, welche nicht 80 oder 100% arbeiten kann, aber dennoch weiterhin ein Team leiten und ihre Karriere weiterführen möchte. Sie hat neues Know-how und Erfahrungen, die er nicht hat. Und umgekehrt. Fürs Unternehmen ein Win, da es quasi 2 für 1 kriegt, Wissen nicht verloren geht, die Diversität gesteigert wird.

A: Wie funktioniert das in Sachen Lohn, wenn z.B. eine 55-Jährige mit einer 28-Jährigen ein Topsharing macht?

K: Also grundsätzlich setzt man den Lohn bei jedem dort an, wo er sich gerade befindet. Aber darum ist es auch so spannend, weil wenn Du jemand Älteren nimmst, der Dich vielleicht etwas mehr kostet, aber teilzeitlich, und Du nimmst jemand Jüngeres, wo die Sozialleistungen etwas weniger sind, hast Du am Schluss einen guten Mix und von beiden das Know-how.

Topsharing heisst nicht, ein bisschen Teilzeitchefin sein zu wollen.

karin ricklin

A: Wo finden Leute, die sich so bewerben wollen, ihre/n Partner*in und wo finden die Unternehmen die Tandems?

K: Klassisch sicher via Ausschreibung vom Arbeitgeber. Dann Plattformen wie z.B. We Jobshare, das ist eine Art Parship für Jobsharing, die in den nächsten Monaten noch weiter entwickelt wird. Sicher sollte man auch im eigenen Netzwerk schauen, ob es dort mögliche Partner*innen gäbe. Bei der Partnerwahl ist es wichtig, dass beide im «wir» denken und arbeiten möchten und nicht im «ich». Das muss man sich gut überlegen, denn es ist nicht für jeden und jede. Es gibt einfach Leute, die Einzelkämpfer sind, was auch total in Ordnung ist, aber dann nicht in einem Tandem – das käme nicht gut.

A: Sind Top- und Jobsharing die Lösung für den «Motherhood Penalty», also für den Karriereknick nach der Mutterschaft?

K: Vielleicht? Aber mir geht es primär darum, Optionen aufzuzeigen. Damit wir aktiv werden können, nicht einfach der Situation ausgeliefert sind und sagen müssen: So, das war’s mit der Karriere.

Und je länger, je mehr ist es so wichtig, dass man nicht alleine im «Züüg umegurket», sondern dass wir uns zusammenschliessen, denn es liegt so viel Kraft darin.

karin ricklin

Und je länger, je mehr ist es so wichtig, dass man nicht alleine im «Züüg umegurket», sondern dass wir uns zusammenschliessen, denn es liegt so viel Kraft darin. Wenn Du Dir überlegst, wie wir arbeiten, kann das doch auf Dauer nicht gesund sein. Dieses alleine Entscheide fällen, alleine den ganzen Druck haben, gerade in einer Pandemie – unternehmerisch ist das ein Risiko par excellence. Wenn Du zusammen diesen Druck tragen kannst, das tut auch etwas fürs betriebliche Gesundheitsmanagement.

A: Wo findet man Infos zu Job- und Topsharing? Für alle, die jetzt Blut geleckt haben.

K: Bei mir (lacht). Mit WEShare1 haben wir eine Anlaufstelle aufgebaut. Du kannst Dir dort die Infos holen und wenn Du merkst, dass Du Unterstützung brauchst, kannst Du mich kontaktieren. Je nach Kapazität helfe ich Dir direkt weiter, führe das Angebot in Kooperation durch oder vermittle Dir das passende Angebot. Dazu gibt es die WEshare1Community, wo wir die Leute zusammenbringen, die interessiert sind am Thema. Ein wichtiger Partner ist auch PTO (Part Time Optimierung) vom Verein go for jobsharing. Gemeinsam bringen wir so das Thema voran. Wir sind noch ganz am Anfang.

A: Vielen lieben Dank, dass Du mit uns den Anfang gemacht hast, Karin!

Autorin

Andrea Jansen hat 2016 Any Working Mom gegründet und lange als CEO geführt. Bei mal ehrlich ist sie für Strategie und Business Development verantwortlich. Sie reist gerne durch das Leben und um die Welt, versucht, weniger zu micromanagen und mehr zu schlafen. Sie ist Unternehmerin, Stiftungsrätin, Journalistin und Mutter von drei Kindern. Seit mindestens drei Jahren will sie ihre Website updaten und kommt nicht dazu – bis dahin findet man sie auf Insta als jansenontour.
SarahWeishaupt

Autorin

Sarah Weishaupt, geboren 1984, arbeitet als Grafikerin und freischaffende Illustratorin. Unter anderem für Magazine wie Surprise Strassenmagazin, easyjet Board-Magazin, Psychologie heute. Sarah hegt eine Passion für Pflanzen und Brockenhäuser. Sie lebt mit ihrem Partner und ihrem kleinen Sohn in Basel.

Informationen zum Beitrag

Dieser Beitrag erschien erstmals am 8. Mai 2021 bei Any Working Mom, auf www.anyworkingmom.com. Any Working Mom existierte von 2016 bis 2024. Seit März 2024 heissen wir mal ehrlich und sind auf www.mal-ehrlich.ch zu finden.


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2 Antworten

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  1. Avatar von Emilie
    Emilie

    Bezüglich Annabelle Studie: Ein 50/80 Modell als Ideal (50% Berufstätigkeit für Frauen) setzt ja vor allem voraus, dass der Mann besser verdient als die Frau, was natürlich auch einen grossen Einfluss auf die Partnerwahl der von der Annabelle befragen Frauen hat. Es ist ja legitim für diese Personen sich bewusst für ein traditionelles Familienmodell zu entscheiden, aber auf der anderen Seite hilft das der Lohngleichheitsdebatte überhaupt nicht. Lohngleichheit und Gleichstellung kommt erst voran, wenn die Frauen bereit sind, aus dem traditionellen Modell auszubrechen. Dazu muss sich Frau anfangs halt ein bisschen reinlegen und innovativ sein anstatt in die Opferrolle zu fallen . Jobsharing kann einen interessanten Lösungsansatz sein. In meinem Unternehmen sind Jobsharing möglich, aber dazu werden 2×60% für eine 100% Stelle berechnet, was somit 20% Mehrkosten bringen.

    1. Avatar von Karin Ricklin
      Karin Ricklin

      Cool, dass bei Euch das 60%/60% Modell angeboten wird, Emilie! Wenn Du magst; würde mich interessieren, welches Unternehmen das ist (gerne auch via anderen Kanal, falls besser passend).
      Die 20% Mehrkosten sind immer auch in Relation zu setzen mit den Benefits für die Unternehmen; durchgängige Besetzung der Stelle (auch bei Krankheit / Unfall / Ferien etc.; einer*r ist, zumindest an einzelnen Tagen in der Woche, immer da), kein Wissensverlust bei Kündigung etc.