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Dino oder Rüschen – und nix dazwischen

«Du hast mir nichts zu sagen, Papa bringt das Geld nach Hause!» – Mara Ittig über Genderdiskussionen mit einem Erstklässler.

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Text: Mara Ittig

Dinos oder Rueschen - Genderbilder bei Jungen und Maedchen auf mal ehrlich

„Du hast mir nichts zu sagen! Papa bringt das Geld nach Hause. Er ist der Chef bei uns.“

Wie bitte?

Bestürzt sitze ich meinem Sohn gegenüber. Hat er das wirklich gesagt? Und schlimmstenfalls sogar gemeint? Es war seine Reaktion auf meine Ansage, bei uns zu Hause wolle ich „so ein Wort“ nicht hören.

Und sie schockiert mich. Ich gerate ins Grübeln, frage mich, woher ein Erstklässler so ein Weltbild hat. Klar, mein Mann arbeitet 100%, ich seit der Geburt unseres ersten Sohnes „nur“ 60% – eine Aufteilung, die in vielen Haushalten in der Schweiz die Norm und vielleicht nicht in allen Belangen ganz gleichberechtigt ist. Aber es ist keineswegs so, dass bei uns der Mann der Boss ist, der nach getaner Arbeit die Füsse hochlegt und sich die Pantoffeln ans Sofa bringen lässt (ich hoffe, dass es das überhaupt gar nirgendwo mehr gibt).

Wenn er am Abend nach Hause kommt, räumt mein Mann erst mal die Legosteinli und Auto-Kolonnen aus dem Weg, ich koche – er macht danach den Abwasch. Die Kinder bringen wir abwechselnd in die KiTa und in die Schule.

Ein Paar auf Augenhöhe

Wir verstehen uns als Paar auf Augenhöhe. Niemand ist der Chef. Wieso also meint mein sechsjähriger Sohn, dass der Papa der Boss ist? Und was bin dann ich? Und was mich als politisch links gesinnter Mensch zusätzlich stört: Wieso soll derjenige mit mehr Geld auch automatisch das Sagen haben? Aber das ist eine andere Baustelle.

Wir geben uns Mühe, unsere beiden Söhne so gross zu ziehen, dass sie mit möglichst wenig einengenden Stereotypen aufwachsen, ihren Interessen unabhängig vom Geschlecht nachgehen können.

Der 3-Jährige will gerne ein Röckli anziehen wie seine Freundinnen? Kann er gerne (obwohl er mich in der Kinderabteilung einer grossen Bekleidungskette an meine Grenzen brachte, als er sich ein glitzerndes Tutu aussuchte, das ich ihm zu meiner Schande auch nicht gekauft habe — er hat jetzt ein schwarz-weisses Kleid).

Die beiden Jungs wollen sich gemeinsam mit mir die Zehennägel pink anmalen? Von mir aus. Sie haben beide ein Bäbi, das wir abends auch mal ins Pyjama stecken und das im Buggy unter unseren Esstisch „ in die Ferien“ gefahren wird.

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Es muss auch in Ordnung sein, wenn der Sohn stolz sein «Bäbi» zeigt

Der heilige Gral: Genderneutral

Von den leidigen Gender-Schubladen können wir uns natürlich dennoch nicht völlig frei machen. Ganz automatisch drängen wir unsere Kinder immer wieder unbewusst in eine Mädchen- oder Buben-Ecke.

Wir finden es normal, dass Jungs wild und laut sind und Mädchen gerne malen und bäbelen. Wir kaufen unseren Söhnen von Geburt an blaue Strampler und Nuggis mit kleinen Fussbällen drauf. Ich habe Freundinnen, die ihre Töchter bereits im Säuglingsalter nur rosafarben einkleideten und das kaum vorhandene Haar mit Mäscheli und Spängeli malträtierten, aus lauter Angst, der kleine Mensch könne sonst für einen Buben gehalten werden.

Und ganz ehrlich: Kauft einem Baby oder Kleinkind mal etwas, das nicht eindeutig einem Geschlecht zugeordnet ist. Da können Sie sich genauso gut auf die Suche nach dem heiligen Gral machen.

Geschlechtsneutrales für Kinder scheint auf dem absteigenden Ast zu sein: Seien es nun Kleider, Spielsachen, Filme, Kinderbücher, ja sogar Lego – alles ist entweder ganz eindeutig pink oder blau. Männlein oder Weiblein. Star Wars oder Elsa. Rüschen oder Dinosaurier.

Schaut unser älterer Sohn in der Adventszeit jeweils Spielzeugkataloge durch, um sich für seinen Wunschzettel inspirieren zu lassen, ruft er auf jeder 2. Seite: „IIh, das ist für Mädchen!“ und blättert schnell weiter, bis er zu einer Seite gelangt, die – ganz eindeutig – für sein Geschlecht bestimmt ist.

Ich kann es ihm irgendwie nicht verübeln, dass er sich für rosafarbene Plastik-Waschmaschinen (ich meine, ernsthaft jetzt??) und gruselige Schmink-Köpfe nicht so recht begeistern kann. Das wäre aber auch bei einem Mädchen der Fall.

Die Pflanzen sind Buben

Auch die Lieblingsfilme und -Fernsehserien meiner Söhne zementieren ein Geschlechterbild, das direkt aus den 50er-Jahren kommt. Die Männer sind stark, mutig, packen an und in der Hauptrolle. Die weiblichen Figuren hingegen entsprechen 1a dem Kindchen-Schema und haben wallendes Haar, das ihnen bis zur Taille reicht, ansonsten sind sie aber vor allem: eher passiv. Die Handlung käme auch ohne sie aus.

In der Riege der tapferen Ninjagos darf mit Nya gerade mal ein Quoten-Mädchen mitmachen. Und sogar in auf den ersten Blick genderneutralen Serien, in denen Tiere die Hauptrolle spielen, kommt auf 9 männliche Protagonisten gerade mal eine einzige weibliche Hauptfigur. Laut einer Studie der Uni Rostock sind sogar die meisten Pflanzen in Kinder-Formaten männlich. Echt jetzt?

Bastelnde Mütter

Von Film- und Spielzeugindustrie darf ich schon mal keine Schützenhilfe erwarten.
Auch im weiteren Umfeld beisse ich auf Granit: Im Abschlusstheater der Kita spielen die Mädchen Prinzessinnen, die von einem bösen Drachen bedroht werden. Es braucht den Einsatz der Jungs, die sie als heldenhafte Ritter aus den Klauen des Ungeheuers befreien.

Am Besuchstag im Kindergarten sollen ganz explizit die Mütter mit den Kindern etwas basteln, den Vätern (die in der Unterzahl, aber durchaus anwesend sind) wird das Hantieren mit Kinder-Scheren und filigranen Bastelutensilien offenbar nicht zugemutet. Wahrscheinlich wird ihnen hoch angerechnet, dass sie überhaupt erschienen sind, da sollen sie nicht auch noch basteln müssen.

Uns ist natürlich nicht entgangen, dass sich unsere Söhne auch von Haus aus für Buben-Sachen interessieren: Fussball, Autos, Bagger, Dinosaurier. Und natürlich ist es ok, wenn Jungs gerne Fussball spielen und die Namen aller Dinosaurier-Unterarten und Automarken kennen, weil sie das fasziniert.

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«Rössli streicheln» gefällt nicht immer nur den Mädchen

Kampf gegen Windmühlen

Es ist aber nicht ok, wenn sie denken, dass Männer automatisch aufgrund ihres Geschlechts der Chef sind. Und es ist auch nicht in Ordnung, wenn sie ihren Interessen nicht frei nachgehen können, weil sie das Gefühl haben, damit irgend einer Norm, wie Buben sein sollen, nicht zu entsprechen.

Da stehe ich nun also als einzige Frau in diesem Männerhaushalt und versuche, meinen Söhnen zu vermitteln, dass Frauen und Männer gleichwertig (nicht gleich) sind und dass auch Männer Krankenschwester (jaja, ich weiss, das heisst heute nicht mehr so) und Frauen Kranführer sein können. Dass auch Jungen in der Puppenecke und Mädchen mit Bauklötzen spielen können – wenn sie das wollen. Aber ich merke: Das ist ein Kampf gegen Windmühlen.

Trotzdem, ich mag nicht passiv sein wie die Trickfilmmädchen. Es ist mir wichtig, meine Jungs zu starken und selbstbewussten Wesen zu erziehen, denen mehr als nur eine blau oder pink gelabelte Welt offen steht. Dazu braucht es viele Gespräche, eine kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Vorbildfunktion und ein ständiges Hinterfragen von etablierten Rollenmustern.

Das ist manchmal zwar ganz schön anstrengend, aber oft auch ziemlich befreiend. Und so hat auch unser Sohn jetzt begriffen, dass bei uns zu Hause die Mama genauso die Hosen anhat wie der Papa.

Oder eben beide auch ein Röckli tragen könnten.

Autorin

Mara Ittig ist Lifestyle-Redaktorin, freischaffende Texterin und Kommunikationsberaterin. Ihr Alltag als Mutter von zwei Söhnen gleicht einem Balanceakt: zwischen Kindern und Job, zwischen Frausein und Bubenmami, zwischen verständnisvoller Fee und schäumendem Drachen, zwischen eigenen Ansprüchen und begrenzten Ressourcen.

Informationen zum Beitrag

Dieser Beitrag erschien erstmals am 31. Oktober 2017 bei Any Working Mom, auf www.anyworkingmom.com. Any Working Mom existierte von 2016 bis 2024. Seit März 2024 heissen wir mal ehrlich und sind auf www.mal-ehrlich.ch zu finden.


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10 Antworten

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  1. Avatar von Esther
    Esther

    Mein Ältester hat sich damals bei der Coop (oder war es Migros) Sammelaktion ohne zu zögern das pinke mit den Einhörnern ausgesucht – und benutzt es auch ganz selbstverständlich. Auch wenn sie leider ansonsten im Kindergarten ganz genau ‚gelernt‘ haben, was Meitli-Sachen sind, und nun zB Partout kein grüner Turnschuh mit Lachsfarbenen Streifen mehr in Frage kommt…

  2. Avatar von Andrea
    Andrea

    Vor zwei Wochen konnten wir die Räumlichkeiten des Horts anschauen, in den unsere Tochter nach den Sommerferien kommen wird. Die Benerkung der Betreuerin: also das hier ist so eher das Bubenzimmer (mit Gumpimatten, Legos, etc.), und das hier ist eher das Mädchenzimmer (mit dem ganzen Bastelmaterial und allem Kreativen dazu). Ich fands einfach nur schlimm wie das (noch dazu vor den Kindern) schon so stereotyp festgefahren wird. Das lässt den Kindern ja gar keine Wahl in welchem Raum sie sich lieber aufhalten.

    Dafür habe ich heute auf dem Spielplatz einen Jungen gesehen, der ganz selbstverständlich eine Elsa-Mütze trug. Grossartig!

    1. Avatar von Dieter
      Dieter

      Ich hoffe dem erwähnten Jungen geht es nicht wie meinem jüngeren Sohn, der einmal voller Stolz mit den Hello Kitty Handschuhen seiner älteren Schwester in den Kindergarten ging; genau einmal. Denn dafür wurde er nach Aussage einer Erzieherin so sehr von den Mädchen gehänselt, dass er sie nie wieder angezogen hat.
      Hier liegt nämlich ein weiteres Problemfeld: Es reicht nicht wenn Eltern ihren Kindern die freie Wahl lassen, sie müssen ihnen auch die Toleranz vermitteln, Andere ihren eigenen Weg gehen zu lassen

  3. Avatar von Guthauser
    Guthauser

    Ich würde allzu gerne wissen wie der Artikel herausgekommen wäre, wenn der Bub anstatt das oben gesagte folgendes gesagt hätte:

    Papi Du hast mir gar nichts zu sagen , zu Hause ist die Mamma der Chef!

  4. Avatar von Yvonne
    Yvonne

    Danke für den Artikel, spricht mir aus der Seele und erlebe ich mit meinem Jungs ähnlich. Immer dran bleiben 😉

  5. Avatar von Isabelle
    Isabelle

    könnte in meiner familie sein! …als mein Sohn sohn 2.5 jahre alt war, sind wir in der s-bahn in den oberen stock. nach einer weile sagte er mir „mami, du solltest doch eigentlich im unteren stock sitzen – du bist doch eine frau. und hier oben ist es zu hoch für frauen. ich bleibe hier“😂

  6. Avatar von Mats
    Mats

    Warum sollte es denn nicht auch Geschlechtsspezifische Sachen geben? Muss alles immer Einheitsbrei und für alle supertoll sein? Was sollte denn damit erreicht werden, dass die Kinder alle schön das selbe spielen und keine spezifischen Interessen finden dürfen?

    Klar gibt es Spielzeug eher für Mädchen, das sehr Pink und Rosa gehalten wird. Klar gibt es typische Jungsspielsachen. Aber dazwischen gibt es noch bestimmt “Fifty Shades of Pink”. Ich nenne hier als Beispiel mal die Themen “Tierwelt, Stadt, Eisenbahn”. Interessiert bestimmt Mädchen, Jungs und alles was sich noch nicht entschieden hat. Gibt also vieles dazwischen.

    Aber das wichtigste: Bei Kauf ist man frei und kann das kaufen was dem Kind (Oder Papi / Mami) besser gefällt.

    1. Avatar von Katharina
      Katharina


      Warum sollte es denn nicht auch Geschlechtsspezifische Sachen geben? Muss alles immer Einheitsbrei und für alle supertoll sein? Was sollte denn damit erreicht werden, dass die Kinder alle schön das selbe spielen und keine spezifischen Interessen finden dürfen?

      Sie stellen die richtigen Fragen!
      Wir haben im Moment einen grausamen Einheitsbrei. Alle Mädchen sollen gleich sein, alle Jungen sollen gleich sein. Alle Mädchen pink, alle Buben blau. Es gibt keinen Raum mehr für Individualität, für “abweichlerische” Interessen und Wünsche.
      An modernen Kinder-Kostümpartys sind manchmal alle Mädchen als Elsa verkleidet. Ich habe nichts gegen Elsa, aber frage: Ist DAS die Vielfalt, über die Sie sprechen?!
      Die “Emanzen” fordern nicht mehr Einheitsbrei, sondern mehr Vielfalt. Nicht weniger Individualität, sondern MEHR davon. Damit jedes Kind in Zukunft die Farben lieben darf, die ihm gefallen und mit den Spielsachen spielen, die es interessieren.
      Oder mit den Worten der Gründerin der Organisation “Pink stinks”: Das ist Ziel ist nicht, dass Mädchen nicht mehr Prinzessin sein dürfen. Sondern dass sie nicht mehr Prinzessin sein müssen.

  7. Avatar von Riitta Arnold-Schäublin
    Riitta Arnold-Schäublin

    Danke, dass Sie Ihrem Sohn ein Kleid kaufen!!!!!! Finde ich voll der Oberhammer, auch wenn’s nicht glitzert!
    Und danke für den Artikel. Viele sehen gar nicht, wie stark sie den Kleinen schon Rollenbilder aufdrücken.

    … Für eine weitergehende Lektüre und auch für Tips und Tricks, wie man eben versuchen kann, gegen die Windmühlen anzukämpfen, empfehle ich dieses Buch:
    https://www.amazon.de/Parenting-Beyond-Pink-Blue-Stereotypes/dp/160774502X

    … es ist leider (oder eben typischerweise) nicht auf Deutsch übersetzt und in der CH nur auf Bestellung mit längerer Wartefrist zu haben, aber es lohnt sich.

    1. Avatar von Andrea Jansen
      Andrea Jansen

      Vielen Dank, vor allem auch für den Buchtipp! Schauen auch wir uns gerne an!